Am Sonntagmorgen verließen wir Rurrenabaque, um uns endlich auf den Weg nach La Paz und damit gen Anden zu machen. Dass die Piste zwischen Rurre und Yucumo schlecht ist, wussten wir schon von der Hinfahrt gegenüber dem, was kommen sollte, war das aber noch gar nichts. Ein kurzes Stück Asphalt nach Yucumo und relativ gute und breite Piste auf den nächsten paar Kilometern
(hier konnten die
Busse sogar noch die Lkw überholen - und das rechts..) weckte ganz falsche Erwartungen. Die Piste wurde immer schlechter, zeitweise passten kaum zwei Fahrzeuge aneinander vorbei, die Spurrillen waren so tief ausgefahren, dass selbst wir mit dem höhergelegten Fahrwerk nicht mehr "unten" fahren konnten, und der Staub war die Hölle. Kamen
Fahrzeuge entgegen oder musste man vorm Überholen hinter einem Bus oder Lkw herfahren, war für eine Weile wirklich nichts mehr zu sehen - so muss man sich im Sandsturm fühlen. Dass wir auf der Rüttelpiste unsere Solardusche verloren haben, verwundert kaum. (Ein wirklicher Verlust war das Teil aber eher nicht.)
Von unseren Reisebekannten waren wir wegen dieser Strecke vorgewarnt worden, und tatsächlich waren bei dem Straßenzustand und den Steigungen nicht mehr als 20 bis 30 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit zu schaffen - Fotostopps hatten damit nichts zu tun!! Irgendwann beschlich mich außerdem das Gefühl, dass wir nicht auf der richtigen Straße bzw. nicht
in der richtigen
Himmelsrichtung unterwegs sind, irgendwie stimmten auch die Kilometer- und Ortsangaben in unserer Karte mit der Realität nicht überein. Im nächsten Dorf fragte ich dann mal vorsichtshalber, ob es sich hier um Sapecho handelt. Der befragte Soldat schaute uns verwundert an und sagte dann "Nein, nein, das hier ist Inicua." Shit - das war auf unser Karte ungefähr 20 km weiter nördlich eingezeichnet, und eine Straße gab es zu bzw. in diesem Dorf überhaupt nicht!! Nach den Erfahrungen mit Reiseführern auf
den letzten Reisen war ich vom Verlag Reise know-how nicht wirklich überzeugt, trotzdem hatten wir uns mit deren Karten zu den einzelnen Ländern, in denen wir unterwegs sein wollten, eingedeckt. Warum wir uns diesmal gegen die Karten von Nelles und für die von Reise know-how entschieden, ist selbst für uns nicht mehr ganz nachvollziehbar.. (Sorry an den Verlag, aber auf der brasilianischen Karte fehlte mal eben eine Stadt mit 3.000 Einwohnern,
in der sich auch noch zwei relativ große und wichtige Straßen kreuzen; auf der bolivianischen fehlen etliche Straßen, die nicht so neu aussahen.) Da wir ohne GPS unterwegs sind (wir fühlen uns schon wie die letzten Mohikaner..), sind gute und verlässliche Karten für uns elementar; bisher sind wir in der Beziehung eher enttäuscht und fragen nun lieber doppelt und dreifach nach den Orten und Richtungen. Dies als Randbemerkung,
die anderen Selbstfahrern bei der Entscheidungsfindung helfen kann.
Auch wenn wir zwischendurch ein Hinweisschild nach Berlin passierten, irgendwann waren wir wieder auf Straßen unterwegs, die wir auf der Karte zu-ordnen konnten. Mehr als knapp 200 Kilometer waren an diesem Tag nicht drin; kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir Caranavi, wo wir ganz gut an einem Fluss übernachten konnten.
Bis zum nächsten Ziel, Coroico, waren es nur noch knapp 70 Kilometer - wenn auch mal wieder über schlechte und furchtbar enge Piste. Das Dorf, einst ein Goldgräberkaff, liegt auf 1800 Meter und bietet an jeder Ecke wunderbare Ausblicke ins Tal der Yungas und auf die gegenüberliegenden Andengipfel. Hier wollten wir zur ersten Akklimatisierung ein oder zwei Tage
verbringen. Beim Hotel Esmeralda konnten wir mit dem Auto gut parken vom Swim-mingpool aus auf schneebedeckte Berge schauen zu können, hatte schon was..
Die Yungas, wie die Ostabhänge der Anden genannt werden, zählen noch immer zu den wichtigsten Koka-Anbaugebieten des Landes; Kaffee, Zitrus-früchte und Bananen sind lediglich Zusatzgeschäft. In Bolivien wird Koka schon seit Jahrtausenden konsumiert, beim Kauen entfaltet es eine leicht anästhesierende Wirkung, dämpft das Hungergefühl und wirkt der Höhenkrankheit entgegen. Anbau und Ernte erfolgen
nach wie vor rein manuell, die Sträucher werden auf einer Höhe zwischen 500 und 2000 Metern angebaut, aufgrund des günstigen Klimas sind jährlich bis zu vier Ernten möglich. Auf einer Wanderung in der Umgebung streiften wir durch die in Terrassen angelegten Felder und kamen an Plastikplanen mit zum Trocknen ausgebreiteten Blättern vorbei. Im Nachbardorf zeigte uns ein netter Einheimischer die örtliche Kaffeefabrik, die
zwar etwas altertümlich wirkte, die aber organisch an-gebauten Kaffee für den Export in die USA und nach Europa produziert. - Wir hatten einen landwirtschaftlich wirklich interessanten Tag!
Nun hatten wir zwei Möglichkeiten, nach La Paz zu kommen: die (bis vor kurzem) gefährlichste Straße der Welt, die als arg schmale Piste auf nur knapp 50 Kilometern 3000 Höhenmeter überwindet, oder die neue Asphaltstraße, die erst in diesem Jahr fertiggestellt wurde. Sämtlicher Verkehr zwischen La Paz und den Yungas, incl. Lkw und Bussen, lief über die alte Straße, jedes Jahr
kamen
hier rund 100 Menschen ums Leben. Auf der Lehmpiste wird links gefahren, so sehen die bergab Fahrenden zumindest den Straßenrand - ob das bei den teilweise mehrere hundert Meter abfallenden Hängen aller-dings zur Beruhigung beträgt, sei dahingestellt. Ausweichstellen existieren nur selten; es war eben immer zu hoffen, dass nicht ausgerechnet in den zahlreichen Kurven jemand entgegenkam. Dass sich dies leider nicht immer erfüllte, bezeugen die zahlreichen Kreuze am Straßenrand. Einige
Jahre konnte die
Umgehungsstraße wegen eines nicht fertiggestellten Tunnels nicht benutzt werden, seit Jahresanfang gehört die alte Straße nun aber fast ausschließlich den Touris, die per Mountainbike (downhill) oder mit dem eigenen Fahrzeug diese spektakuläre Straße fahren. Oben angekommen hatten wir eine kurze, aber sehr nette Begegnung mit zwei Deutschen, die mit einem MAN-Lkw auf Weltreise (geplant 8 Jahre) sind. Dagegen sind doch unsere paar Monate ein Kurzaufenthalt..
Bis zum Pass La Cumbre auf 4670 m hatten wir noch ca. 40 km vor uns - unserem Auto fiel die Steigung in der dünnen Luft nicht leicht. Als wir am Pass ausstiegen und den Hügel zur Christusstatue hochliefen, konnten wir das gut nachvollziehen.
Der erste Blick, den wir auf La Paz bekamen, war wirklich atemberaubend - aber diesmal lag es nicht an der Höhe. Die Stadt liegt in einem weiten Tal-kessel zu Füßen der Cordillera Real mit dem 6439 m hohen Nevado Illimani als Hausberg. Von modernen Hochhäusern bis Wellblechhütten gibt es alles; die ärmeren Einwohner wohnen an den teilweise sehr steilen Hängen oder in El Alto. Der ehemalige Stadtteil liegt oberhalb von
La Paz auf fast 4100 m Höhe und ist seit 1986 eine eigene Stadt, die mittlerweile fast ebenso groß ist wie La Paz mit seiner mehr als einer Million Einwohnern. Das Zentrum und vor allem das Indigena-Viertel gleichen einem einzigen großen Markt, auf jeder Straße und an jeder Ecke sitzen Marktfrauen, die alles verkaufen, was man sich vorstellen kann - und manches mehr. Rund um die Calle Linares gibt es auf dem Mercado de Brujas (Hexenmarkt) Dutzende Stände mit allen möglichen Kräutern
und Glücksbringern, einschließlich getrockneter Lamaföten (eingemauert in die vier Ecken eines Hauses sollen sie vor Unglück bewah-ren). Viel besser gefielen uns da die unzähligen Obst- und Gemüsestände und die Läden mit großen Säcken vor der Tür, aus denen die verschiedensten Sorten von Nudeln und Reis verkauft werden. Es muss eine irre Arbeit sein, jeden Morgen das komplette Warensortiment auf die Straße zu räumen und am Abend wieder
alles einzupacken. Einige verkaufen auch gleich
aus Garagen heraus, in denen bergeweise Mandarinen oder Kartoffeln lagen. In ganz La Paz trifft man die Cholas pacenas an, Frauen mit mehrschichtigen Petticoatröcken und Bowlerhüten. Diese Tracht hat nichts mit Verkleidung für Touristen zu tun, auch viele junge Frauen tragen die traditionelle Kleidung. Mit ihren dicken Röcken und meist auch mit entsprechender Leibesfülle sitzen sie stoisch auf der Straße und verkaufen in aller Seelenruhe ihre Waren. Wir waren von diesem Gewusel so begeistert, dass wir
gleich an drei Tagen nacheinander über die Märkte schlenderten - sattsehen ist kaum möglich. Zwischendurch einen frisch gepressten Orangensaft für 15 Cent, so lässt sich das Leben aushalten. (Und dass dabei eine Menge "Markt-Fotos" rauskamen, wundert auch nicht..)
Ganz ohne Kultur kamen wir nicht aus: Im sehenswerten Museo Nacional de Etnografia y Folklore waren jede Menge Textilien, Keramiken und Masken der verschiedenen Indigena-Völker ausgestellt. Die riesigen bunten Masken wurden in einem dunklen Raum präsentiert, die Wirkung dadurch war toll.
Da man im Hotel Oberland im Vorort Mallassa (mal wieder DER Stellplatz für alle Selbstfahrer) wirklich gut und sicher stehen kann, nutzten wir die Gele-genheit und erledigten Dinge wie Werkstatttermin für den Toyota, Gasflasche füllen usw. Für solchen "Kram" gehen dann auch schon mal gut ein, zwei Tage drauf. So wundert es nicht, dass man schnell eine Woche oder mehr an einem
solchen
Platz steht, zumal durch andere Reisende für Unterhaltung und Informationsaustausch gesorgt ist.
Von Fotos her hatten wir die Vermutung, dass Tiwanaku vermutlich weniger eindrucksvoll sein würde als die Ruinenstätten der Inka oder Maya, die wir bisher gesehen hatten. Da es aber von La Paz aus nur eine Stunde entfernt liegt und die Überreste einer hochentwickelten präkolumbischen Kultur repräsentiert, machten wir uns auf den Weg. Ca. 700 n.Chr. beherrschte Tiwananku weite Teile Boliviens, Südperu und die nördlichen
Teile von Chile und Argentinien. Vermutlich war die Stadt sowohl politische Hauptstadt als auch religiöses Zentrum dieses riesigen Gebietes. Hier sollen 20.000 bis 50.000 Menschen am Ufer des Titicacasee gelebt haben, dessen Ufer damals mehrere Kilometer weiter im Inland lagen. Mit Sukakullos (Hochfeldern) und einem besonders schlauen Bewässerungssystem erreichte die Tiwanaku-Kultur Ernteerträge, von denen die heutigen Hochlandbauern nur träumen können. Viel übrig geblieben ist von der Stadt jedoch leider
nicht, über Jahrhunderte wurde sie geplündert, und die Steine dienten als Baumaterial für Kirchen, Häuser und sogar für ein Kiesbett einer Eisenbahnlinie, die in der Nähe verlief. Vieles, was das Aussehen und den Zweck einzelner Gebäude betrifft, kann heute nur vermutet werden.
Auf dem Weg nach Tiwanaku passierten wir einen wunderschönen Mirador, der auf knapp 4000 m liegt und einen herrlichen Ausblick auf die Cordillera Real bietet. Wir wurden vom Wind zwar fast weggeweht, trotzdem legten wir hier unsere Mittagspause ein.
Vom Stadtleben haben wir nun genug abbekommen, jetzt rufen die Berge. Und wir hoffen inständig, dort nicht einzufrieren..
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