In einem wahren Gewaltritt legen wir in anderthalb Tagen die mehr als 900 Kilometer zwischen Florianopolis, unserer letzten Station am Atlantik, und Foz de Iguacu zurück. Den größten Teil der Strecke fahren wir am Sonntag, somit ist der Verkehr nicht allzu schlimm. Einziger Halt auf der langen Strecke ist Vila Velha, wo aus heiterem Himmel mitten im
ansonsten recht flachen Land eine Gruppe von bizarren Sandsteinfelsen herumsteht, die über Millionen von Jahre durch Erosion entstanden sind. Jürgen erinnert das ganze sehr an die Pfalz - hätten wir wirklich 10.000 Kilometer anreisen müssen, wenn es solche Landschaften auch ganz in unserer Nähe gibt?!? Zur Entstehung der Felsen gibt es natürlich - wie so oft - eine rührende indianische Legende, nach der sich zwei unstandesgemäß ineinander verliebten, zur Strafe in Stein verwandelt wurden und heute
nebeneinander stehen.
Am Sonntagabend kommen wir in Foz de Iguacu an; der Campingplatz ist bis auf die geparkten Laster von Rotel Tours komplett leer. Als die nette Besitzerin unser Auto sieht, gibt sie uns mit den Worten "Das ist doch viel zu kalt." ein Zimmer zum gleichen Preis. Da es hier allerdings auch weder Hei-zung noch richtige Fensterscheiben gibt, ist es dort kaum wärmer als im Camper. In den letzten Tagen haben wir oft gehört,
dass die derzeitige Kälte sehr ungewöhnlich ist,
was uns aber auch nicht wirklich weiterhilft. Aber egal, wir haben uns die Reisezeit selbst ausgesucht, jetzt müssen wir mit den Temperaturen leben. Da wir in den Anden nun mal viel wandern wollen, ist der Winter die günstigste, weil trockenste, Zeit.
Eine kurze Schrecksekunde ereilte uns am Montagmorgen, als wir im Reiseführer lesen, dass der brasilianische Nationalpark im Winter montags ge-schlossen haben soll. Die örtliche Touristeninformation kann uns aber beruhigen, bis vor einem Jahr war es aber tatsächlich so. Im Ort Foz de Iguacu, der ungefähr 20 Kilometer von den Wasserfällen entfernt liegt, war strahlend blauer Himmel. Je näher wir dem Parkeingang kamen,
umso näher kamen wir auch einem dicken Nebelfeld, das über dem Urwald hing. Derzeit sei von den Fällen nichts zu sehen, wir sollten warten, bis sich der Nebel hebt, so eine Führerin, die am Eingang rumstand. Da wir ja glücklicherweise mit unserer eigenen Küche reisen, überbrückten wir die Wartezeit mit Kaffee und Frühstück. Und nach einer guten Stunde war der Nebel tatsächlich nahezu verschwunden. Der Preis der Tickets ist mit 20 Real (ca. 7
Euro) ok, gemessen daran, dass man dafür eines der größten Naturwunder unseres Planeten anschaut. Ausländer zahlen übrigens auch in Brasilien in allen Nationalparks stets mehr als Einheimische; das hatten wir in anderen südamerikanischen Ländern schon erlebt.
Die Brasilianer beanspruchen für ihre Seite die schönere Aussicht, von hier hat man die Panoramaausblicke auf die Fälle, die ca. 20 Kilometer nach dem Zusammenfluss von Parana und Iguacu liegen. In der Regenzeit stürzen 275 einzelne Wasserfälle auf einer Länge von mehr als 3 Kilometer in die Tiefe, die Fälle sind zwischen 40 und 80 Meter hoch. Sie sind damit breiter als die Victoria-Fälle, höher als die Niagara-Fäller
- und viele sagen, schöner als beide. Dieses Urteil können wir uns (noch) nicht erlauben.. Den kompletten Nachmittag verbringen wir staunend; entlang des Weges, der sich durch dichten Wald schlängelt, bieten sich an jeder Wegbiegung neue und irgendwie immer schönere Ausblicke auf die argentinische Seite, wo die Wasserfälle herabstürzen, und den unten fließenden Fluss. Am Ende - sozusagen als Highlight - gelangt man dann an Garganta del Diablo.
Hier führt ein Steg quasi mitten ins Wasser; dass man ziemlich nass wird, ist in dem Moment ganz egal. So nah an den ohrenbetäubend tosenden Fällen zu stehen, ist gigantisch. Oberhalb des Garganta gibt es dann schon einen kleinen Ausblick darauf, was man auf der
argentinischen Seite erleben kann, wo eine Plattform ganz nah an die Abbruchstelle heranführt.
Eigentlich weiß man gar nicht, was am nächsten Tag noch besser werden soll. Aber dass man auf der argentinischen Seite ganz nah an einzelne Fälle herankommt, macht das Erlebnis noch intensiver. Auf zwei Rundwanderwegen mit Pfaden, Brücken und Holzstegen ist das Wasser fast zum Greifen nahe. Die Fahrt
mit dem Schlauchboot zum "Aufschlag" zweier großer Fälle ist ein Mordsspaß - auch wenn wir anschließend tropfnass sind.. Sich für 90 Pesos (etwas mehr als 20 Euro) nassspritzen zu lassen, kann auch nur Touris einfallen!!
Und auch heute kommt das Beste zum Schluss: ein 1,1 Kilometer langer Steg führt in den Fluss hinein und ganz dicht an die Abbruchkante des Garganta del Diablo heran, wo der Fluss von drei Seiten tosend in den Abgrund fällt. So könnte die Vorstellung aus dem Mittelalter ausgesehen haben, als die Erde eine Scheibe sein und irgendwo der Fall ins Nichts kommen sollte.
Mit welcher Wucht die Wassermassen hier herabstürzen, lässt sich gar nicht beschreiben. Zwar werden wir zum zweiten Mal richtig nass, aber auch diesmal ist das völlig egal. Weil das Wasser von mehreren Seiten gleichzeitig fällt, entsteht bei Sonnenschein ein kreisrunder Regenbogen - ein verblüffender Anblick. Die Gischt verhindert den Blick auf das Ende der Kaskade und steigt in einer Rauchfahne nach oben, die einige Kilometer weit zu sehen ist.
Vollgepackt mit unvergesslichen Bildern aus zwei großartigen Tagen fallen wir am Abend todmüde ins Bett, das heute endlich mal wieder im Camper bereitet wurde. Wahrscheinlich ist es unmöglich, den Eindruck wiederzugeben, den die Iguacu-Fälle hinterlassen; egal, wie viele Worte und welche Superlative man benutzt.
|