Ein 30.
Geburtstag stand bevor – was lag näher, als zu flüchten, am besten weit weg. So
verbrachten wir im Frühjahr 2002 gute zwei Monate in nördlichen Chile und Argentinien,
in Bolivien und im Süden Perus. Wir hatten seit Jahresbeginn 2000 durchgehend gearbeitet und
einen Zwei-Monats-Urlaub ausgehandelt.
Nach
unserer dreimonatigen Rucksackreise in Mittelamerika 1999/2000 waren wir uns
einig, dass wir von diesem Kontinent noch ganz viel mehr sehen wollten. Die
Begeisterung für diesen Teil der Erde, von dem wir noch so gut wie nichts
gesehen hatten, und die Lust darauf ihn zu erfahren, waren einfach da.
Noch war kein
Gedanke an eine Reise mit einem eigenen Fahrzeug in
unseren Köpfen, deshalb hatten wir uns für einen kleinen Mietcamper entschieden.
Klein war durchaus wörtlich zu nehmen – ein Chevrolet Luv, der mit allen
nötigen Utensilien für das Outdoorleben ausgestattet war und notdürftig auch
Platz zum Schlafen bot.
Nach der
Landung in Santiago de Chile übernahmen wir das Auto, alles war von der
chilenischen Mietwagenfirma super vorbereitet, und machten uns nach einem
ersten Großeinkauf auf südamerikanischem Boden gleich auf in Richtung Anden.
Und fern von allem ließ sich auf einem Berg auf rund 4000 Meter auch gut über den Sinn des Lebens nach dem 30. Geburtstag sinnieren.
Wir überquerten zum ersten Mal und entsprechend nervös mit einem Fahrzeug die Landesgrenze; später
wurden wir echte Grenzgänger.
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Die Anden
sollten unser Motto sein und bleiben, auf dieser und allen weiteren Reisen. Über den
Paso Los Libertadores nach Uspallata (Mendoza ließen wir leider aus und sollten
das für die nächsten fünf Jahre bereuen), entlang des Andenhauptkamms Richtung
Norden bis Calingasta, vorbei am Schrein der Difunta Correa bis zum
Nationalpark Ischigualasto/Valle de la Luna, durch die Quebrada Miranda. Die
Landschaften waren sagenhaft; das "Aben-teuer" Selbstfahrer, vor allem auf
unbefestigten Straßen; in der Entscheidung frei zu sein, wo, wann, wie oft undwie lange anzuhalten - vom ersten Tag an waren wir sicher, mit dieser Art des Reisens das für uns Richtige gefunden zu haben, auch wenn wir in den ersten
Tagen noch in einfachen Hotels übernachteten - ab dem Valle de la Luna
quetschten wir uns immer öfter ins Heck unseres Campers. Und schon früh zeigte
sich unsere Vorliebe für das Übernachten im (N)irgendwo, abseits von
Campingplätzen (die es eh’ kaum gab), Dorfplätzen, Polizeistationen oder
anderen "bewachten" Orten.
Die Einsamkeit
und die Bilder vom Paso de San Francisco würden wir nie wieder vergessen, sie sind
für uns zum Inbegriff vom freien Reisen geworden. Wieder in Chile wuchs sich das
Abenteuer Auto beinahe zum Albtraum aus, nachdem wir uns an einem tollen Strand
im Nationalpark Pan de Azucar zum ersten Mal so richtig festgefahren hatten.
Aber auch dieses Erlebnis ließ uns reicher zurück – an der Erfahrung, wie
hilfsbereit die Menschen hier sind und mit einem Hauch Coolness nach dem Motto
'Das hatten wir jetzt also auch mal.'
Dass uns
betrunkene Teenager in Antofagasta die Scheiben von Beifahrertür und
Frontscheibe einschlugen, war zwar ärgerlich, hätte aber in einer Samstagnacht in
jeder deutschen Großstadt ebenso passieren können. Selbst das konnte uns
die gute Stimmung nicht lange verderben, zumal uns auch diesmal schnell (wenn
auch nicht ganz kostenlos) geholfen wurde.
Immer
weiter gen Norden durch die Atacamawüste bis nach San Pedro de Atacama, wo wir
sagenhafte Touren mit "unserem" Auto machten – unab-hängig von Tourbussen und
festen Zeiten, inclusive einer ziemlich frischen Übernachtung an den El
Tatio-Geysiren. Mit seiner Mischung aus Hippiedorf mit staubigen Straßen und
netten Kneipen und wahrhaft atemberaubender Umgebung brannte sich San Pedro de
Atacama ganz fest in unser Reise-gedächtnis ein.
Dann
wieder Länderhopping nach Argentinien mit kleinem Abstecher nach Bolivien, wo
wir an der Laguna Verde sehnsüchtig den Tourjeeps hinterher schauen, die von
hier aus die Salar-Lagunen-Runde fahren (unser Luv ist kein 4WD, deshalb trauen
wir uns nicht auf diese Strecke), über den Paso de Jama nach Salta und von dort
nordwärts, Richtung Bolivien. Dass wir mit diesem neuen Land eine andere Welt
betreten, war bereits am Grenzübergang zu bemerken. Wir wussten auch, dass wir nun
im ärmsten Land Südamerikas unterwegs sind. Hätten wir die Reise hier begonnen,
hätten uns die teilweise furchtbaren Pisten, die vollständig fehlende
Beschilderung, auch die offene Armut der Menschen vielleicht verschreckt. Aber
nachdem wir schon einige Wochen unterwegs waren, fühlten wir uns auch in
Bolivien in keinem Moment unwohl oder unsicher. Im Gegenteil.
Mit dem
Salar de Uyuni sahen wir eine der großartigsten Landschaften des Planeten,einfach nur unvorstellbar schön. Das Gefühl, mit dem eigenen (wenn auch nur gemieteten) Auto über diese weiße Fläche zu fahren, war unbeschreiblich. Und
natürlich fühlten wir uns den "armen" Backpackern mit ihren Tourjeeps einen
Hauch überlegen. Nächste Station war Potosi, eine Stadt, die man entweder toll findet oder furchtbar. Wir waren eindeutig be-geistert. Sucre war zwar nett, konnte uns aber nicht lange fesseln. Kurz nach Oruro stand die schwere
Entscheidung gegen La Paz an; da die Zeit mit dem Mietcamper zu Ende ging,
wir La Paz aber nicht nur abhaken wollten, bogen wir in Richtung Chile ab.Spätestens hier war uns beiden klar, dass wir wiederkommen würden und dann nicht nur La Paz (wieder) sehen wollten.
Zum
letzten Mal Grenzwechsel, die letzten Nächte im Camper, in Arica ließen wir die
vergangenen fünf Wochen ausklingen. Die Köpfe waren nach ein paar Tausend durch die unterschiedlichsten Landschaften gefahrenen
Kilometern mehr als voll, und dass es jetzt mit dem Rucksack und mit Bussen weitergehen würde, erschien uns
irgendwie unwirklich. Da wir den Süden Perus, vor allem den Titicacasee und
Cuzco, sehen und bereisen wollten, dies mit einem gemieteten chilenischen Auto
aber nicht möglich war, stand schon bei der Vorbereitung fest, dass wir die
letzten Wochen als Backpacker unterwegs sein würden. Nach den Erfahrungen vor
allem aus Mexico freuten wir uns aber auch darauf, wieder "öffentlich"
unterwegs zu sein.
In Tacna
nahmen wir den Bus nach Arequipa, unsere erste Station in Peru. Wir empfanden
die 'Weiße Stadt' als die schönste, die wir auf der Reise bisher gesehen
hatten. Das Kloster Santa Catalina, die vielen Kirchen und Kolonialgebäude, der
nahe Vulkan Misti, aber auch nette Cafes und Restau-rants führten dazu, dass
Peru einen sehr guten ersten Eindruck bei uns hinterließ. Ein wenig aus
Dummheit entschieden wir uns gegen eine Tour zum Colca-Canyon und fuhren direkt
weiter in Richtung Titicacasee. Nach einer ersten furchtbar kalten Nacht ineinem ungeheizten Zimmer mit Einfach-verglasung leisteten wir uns in Puno zum ersten Mal ein richtig nettes Hotel, machten Ausflüge zu den Uro-Inseln, zur
Isla Taquile, den Grabtürmen von Silustani und waren vom Titicacasee schon
sehr angetan. Die Fahrt nach Copacabana, wo wir einige Tage blieben, und
eine Wanderung über die Isla del Sol machten den See für uns zu einer ganz
besonderen Landschaft – mystisch, rauh, wunderschön. Zum Wiederkommen schön!
Ein
Highlight stand aber noch aus: Cusco. Wir hätten ewig in dieser Stadt bleiben
können. Von Stadtbummel, Kirchen und Inkamauern konnten wir nicht genug bekommen. Pisac und Ollantaytambo,
und schlussendlich würden wir den Inkatrail nach Machupicchu laufen. Dazu hatten wir uns ziemlich schnell entschlossen, auch wenn es einige
Argumente dagegen gegeben hätte. Wir bereuten keine Minute
dieser vier Tage. Nach drei richtig anstrengenden Wandertagen - der höchste Pass
liegt auf über 4800 Meter - gab es einen Abschlussabend in Skihütten-Atmosphäre und mit
euphorisierten Mitreisen-den, dann einen Sonnenaufgang ohne eine einzige Wolke
über Machupicchu. Unbeschreiblich. Dass mit jeder halben Stunde und jeder
Busladung von Aguas Calientes die Zahl der Touris an diesem sagenhaften Ort zunahm,
war uns schon fast egal. Wir waren hierher gewandert, wir hatten den
Sonnenaufgang am Intipunku, dem Sonnentor, erlebt.
Da das
Beste oft tatsächlich zum Schluss kommt, hieß es für uns nun, die Rückreise gen
Santiago de Chile anzutreten, von wo aus der Rückflug gehen würde. Fast ohne
Unterbrechung – abgesehen von einem Stop in Iquique, der wegen der Temperaturen
aber leider nicht zu einem Strandurlaub aus-gedehnt werden konnte – rauschten
wir in drei Tagen bis Santiago. Zum Abschluss verbrachten wir noch ein paar Tage
in Madrid; Europa hatte uns zwar wieder, aber zumindest Spanisch hatten wir
noch um uns.
Was nach
diesen zwei Monaten blieb, war die feste Überzeugung, dass dies auf jeden Fall
nicht unsere letzte Südamerikareise gewesen sein würde. Wir hatten so viel
Schönes gesehen, hatten erlebt, wie gut und einfach es sich hier reisen lässt
und wie vielfältig die Landschaften und Menschen sind. Jetzt hieß es zwar, für die
nächste Reise zu arbeiten. In Gedanken waren wir aber immer wieder unterwegs,
und im Herzen hatte sich eindeutig eine Art Südamerika-Virus festgesetzt.
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